17. Prozesstag

August 30, 2007

17. Prozesstag – 21. Juni 2007 // 9.00 – 11.00

„Ja, das wussten wir alle!“

erneut Polizeibeamter befragt // keine neuen Erkenntnisse zu den Abläufen am 07. Januar 2005

„Ja, heute haben wir Herrn Bo., hoffe ich“, beginnt Richter Manfred Steinhoff den siebzehnten Verhandlungstag. Als einziger Zeuge steht heute dem Gericht der 44jährige Polizeibeamte Torsten Bo. Rede und Antwort.

Am 7. Januar 2005 war eine Gewahrsamnahme, was hatten sie damit zu tun?“, so der Vorsitzender zum Zeugen Bo. Er sei ?nicht direkt daran beteiligt gewesen, gibt der Zeuge an. Weiterhin führt er aus, dass er sich zweimal in den Gewahrsambereich begeben habe, und den Angeschuldigten M. wegen einer fachlichen Frage angesprochen habe.

 

„Was haben sie bei ihrem ersten Gang in den Keller wahrgenommen?“, möchte Steinhoff wissen. „Herr Jalloh saß im Untersuchungsraum auf dem Stuhl und war gefesselt, der Kollege Udo S. hielt seinen Kopf fest“, gibt der Befragte zu Protokoll. Er könne sich allerdings nicht erinnern, ob der Beamte Udo S. in diesem Moment zu ihm geäußert hätte, dass er den Kopf Oury Jallohs festhalte, weil dieser sonst mit dem Kopf gegen die Wand schlagen würde. Es wäre auch möglich, dass er diese Wahrnehmung aus der beobachteten Handlung heute nur schlussfolgern würde.

 

Bei seinem zweiten Kellergang sei Oury Jalloh schon in der Gewahrsamszelle auf der Matratze fixiert gewesen. Udo S. habe am Kopfende gestanden, während der Angeklagte M. „Abtastbewegungen“ am Oberschenkel des jungen Mannes vollzogen habe.

„Wenn es gravierende Vorfälle gegeben hätte, hätten sie es sich gemerkt?“, fragt der Vorsitzende. „Sicher“, so der Zeuge. Verletzungen seien ihm bei dem Afrikaner nicht aufgefallen. “Habe nur mitbekommen, es gibt Probleme. Umsonst fixiert man ja keinen!“, sagt der Beamte. „Hat er sich in der Zelle gewehrt?“, hakt Steinhoff nach. „Nein, das habe ich nicht gesehen“, darauf der Zeuge.

 

Im weiteren Verlauf befragt der Richter den Polizisten zu besonderen Vorkommnissen, als er aus der Kantine gekommen sei. Auch der Beamte Bo. bestätigt frühere Zeugenaussagen, dass der Angeklagte Andreas S. und andere Beamte nach d?em Brandereignis hustend und rußverschmiert aus dem Gebäude gekommen wären. „Sie husteten was ihre Lungen hergaben und waren körperlich stark angegriffen.“, so der Zeuge. Revierleiter K. sei auch auf dem Hof gewesen und habe mit dem Gartenschlauch hantiert. „Was haben sie zu diesem Zeitpunkt gemacht?“, so der Vorsitzende weiter, „Naja, was soll ich gemacht haben? Die Kollegen haben gesagt da ist nichts mehr zu machen, da kommt man gar nicht mehr durch.“, erinnert sich der Beamte.

 

„ Wo war Frau Beate H. an diesem Tag?“, kommt Steinhoff auf einen anderen Komplex zu sprechen. „In der Leitstelle“, gibt der Zeuge an. „War sie am Fenster, hat sie etwas gesagt oder hat jemand etwas zu ihr gesagt?“, konkretisiert der Richter. „Daran kann ich mich nicht erinnern. Ich glaube das Wort Feuerwehr ist gefallen“, so Torsten Bo.

 

Weiterhin gibt er, wie andere Zeugen vor ihm, an, dass erst der Rettungsdienst und später die Feuerwehr eingetroffen seien. “Ich kann mich nur erinnern, dass ein Feuerwehrmann sagte, dass da niemand sei“, so der 44jährige dazu. Der Angeschuldigte Andreas S. hätte dann zu ihm gesagt: „Da muss einer sein!“ „Wer hat denn der Feuerwehr erklärt wie der Keller aussieht?“, so Steinhoff. „Das weiß ich nicht“, so der Zeuge kurz und prägnant.

Auf die Frage, ob sich der Hauptangeklagte Andreas S. zu diesem Zeitpunkt auf dem Hof befunden hätte, antwortet der Zeuge: „Nein, er ist noch mal runter.“ Ob der suspendierte Dienstgruppenleiter nach einem Feuerlöscher und einer Decke gefragt hätte, gibt der Beamte an: „Ja, ich glaube schon.“

„Im Prinzip wussten sie von Anfang an, dass da unten jemand ist?“, möchte der Vorsitzende wissen. „Ja, das wussten wir alle!“, so der Befragt?e daraufhin.

Er selbst sei nicht noch mal in den Keller gegangen, da er schon vermutet hätte, dass es eine Untersuchung geben würde und er die Spurensicherung nicht behindern wollte.

 

Anschließend beginnt Oberstaatsanwalt Preissner seine Befragung und möchte vom Zeugen zunächst wissen, wann er seinen Dienst beendet habe. „Ich hatte 14.00 Uhr Dienstschluss und da bin ich dann auch gegangen.“, so Torsten Bo.

 

„ Gab es im Nachhinein ein Rundschreiben, wer alles beteiligt war oder das man sich für Rückfragen bereit halten sollte?“, will der Anklagevertreter wissen. „Nein. Also zumindest weiß ich nichts davon.“, erinnert sich der Befragte.

„Was wollten sie denn von Herrn Hans-Ulrich M. wissen?“, so Preissner. „Das war irgendeine fachliche Frage.“ Auf die Frage woher er gewusst hätte, wo sich der Angeklagte zu diesem Zeitpunkt befunden habe, antwortet der Zeuge: „Ich habe irgendwen gefragt.“

 

Bei Dienstbeginn müsse er nicht in den DGL-Bereich: „Nein, die Schichteinweisung ist in einem anderen Raum.“ Preissner hakt nach, ob der Angeklagte Andreas S. bei der Einweisung in einer besonderen Stimmungslage gewesen sei, was der Zeuge Bo. verneint.

 

Nun will der Oberstaatsanwalt wissen, ob er schon immer mit Frau Beate H. in einer Dienstschicht sei, was er bestätigt. „Können sie das Wesen von Frau H. beschreiben?“, so Preissner weiter. „Vom Temperament her?“, stellt der Zeuge eine Verständnisfrage. „Wenn sie da oben Dienstregime geführt hat, hat sie immer einen? guten Job gemacht, ruhig und abgeklärt.“, gibt der Zeuge hier zu Protokoll. „Haben sie Andreas S. und Beate H. manchmal zusammen gesehen, ihre Arbeit miteinander?“, fragt der Anklagevertreter, „Ja, das war ein normales sachliches Dienstverhältnis.“, so der Zeuge dazu.

 

Auf die Frage, warum er ein zweites Mal in den Gewahrsamstrakt gegangen sei, antwortet er, er habe den Angeschuldigten M. fragen wollen, ob er mit ihm Mittag essen gehen würde. Preissner fragt nach, wer zu dem Zeitpunkt im Keller war. „ Hans-Ulrich M. und Udo S. waren die Einzigen, die mit Herrn Jalloh beschäftigt waren.“, so der Beamte.

 

„Sind die Dienstfahrzeuge verschlossen auf dem Hof?“, so der Anklagevertreter. „Ja die Fahrzeuge sind immer verschlossen.“, bestätigt der 44jährige. „Gibt es für alle Fahrzeuge die gleichen Schlüssel?“, will Preissner zudem wissen. „Nein die Schlüssel sind Fahrzeug bezogen.“, so der Befragte. Er wisse nicht wer an diesem Tag den Schlüssel seines Dienstfahrzeugs gehabt hätte, ob er selbst oder sein Kollege T. Er könne auch nicht sagen, ob der Feuerlöscher, der später zu Löschversuchen im Umlauf gewesen sein soll, aus seinem Dienstwagen gewesen wäre.

 

„Waren sie letzten Freitag in der Dienstbesprechung“, fragt Preissner und meint damit das so genannte „Freitagsgespräch“ am 08.06.2007. „Nein ich war krank geschrieben.“, gibt der Zeuge an. Er hätte davon auch nichts gewusst: „Nein, es hat mich aber auch nicht interessiert, ich war ja nicht eingeladen.“

 

„ Haben sie im Internet wegen dem Prozessverlauf nachgelesen?“, interessiert Christian Preissner. „Ja, es? wäre jetzt vermessen das abzustreiten.“, so der Zeuge unmissverständlich.

„War Andreas S. nach dem Geschehen weiterhin ihr DGL?“, so der Oberstaatsanwalt. „Ja, für kurze Zeit. Dann wurde er ja versetzt.“, so der Beamte. „Ja sicher, alle Kollegen.“, sagt der Zeuge zur Frage, ob er und andere Beamte im Nachgang über die Geschehnisse des 07. Januar 2005 gesprochen hätten. Revierleiter K. habe mit ihm nicht über die Geschehnisse am 07.01.05 geredet.

Der Oberstaatsanwalt fragt nach, was der Inhalt der Gespräche mit dem Angeschuldigten Andreas S. gewesen wäre. „Die Frage war halt, wie das alles passieren konnte.“, so der Zeuge. „Gab es darauf Antworten oder Varianten, die man sich überlegt hat?“, so Preissner. „Ja. Wir können es nicht erklären.“, darauf der Zeuge.

„Wie ist ihr persönliches Verhältnis zueinander (das Verhältnis des Zeugen zum Angeschuldigten Andreas S.; Anm. der Red.)?“ „Also wir treffen uns nicht privat. Ich war nur zweimal bei ihm zu Hause. Einmal, weil er sagte ihm fällt die Decke auf den Kopf. Er war seelisch sehr angespannt.“, so Torsten Bo. „Hat er sich Selbstvorwürfe gemacht?“, hakt der Oberstaatsanwalt nach. „Nein, eigentlich nicht.“, gibt der Beamte an.

 

Rechtsanwältin Regina Götz eröffnet die Befragung der Nebenklage. Sie kommt auf die „Fachfrage“, zu einem Verkehrsanliegen, zurück, die der Zeuge dem Angeklagten Hans-Ulrich M. gestellt haben will. Torsten Bo. äußerst dazu: „Ich habe dann nachgelesen“.

 

Ob die Türen auf den Weg in den Gewahrsamstrakt offen gestanden hätten, fragt Götz weiter. Die Tür zum Gewahrsamstrakt wäre offen gewesen, ob einzelnen Zellentüren ebenfalls offen standen, wisse er ?nicht mehr.

 

“Er saß auf dem Stuhl mit dem Rücken zur Wand und der Kollege Udo S. stand vor Ihm“, gibt der 44jährige zu seiner ersten Begegnung mit Oury Jalloh an. „Hab ihn gefragt wo Ulli ist, er sagte er ist was holen“ führt der Beamte weiter aus.

 

In den Journalen, weis der Zeuge zu berichten, wären „alle Aufträge der Beamten“ des Reviers aufgelistet.

 

“Sind sie mit Herrn Hans-Ulrich M. befreundet“, fragt Götz den Beamten. Dieser erwidert darauf: „Nein, wir haben ein gutes kollegiales Verhältnis“. Der Zeuge bestätigt, das der Angeklagte M. nach den Verhandlungstagen mehrfach im Polizeirevier Dessau gewesen wäre. Er hätte ihn da „auch mal gesehen“.

 

Zu den Raumaufteilungen im Polizeirevier befragt, sagt er dass sich der DGL-Bereich im ersten Stock des Gebäudes befinde und die „Kollegen der Kriminalpolizei“ würden in der dritten Etage sitzen.

Die Nachfrage, ob er die Kollegen Udo S. und Hans-Ulrich M. zum Mittagessen in der Kantine gesehen habe, verneint er. Er wisse aber auch nicht mehr genau, wann er essen war.

 

Er könne nicht einschätzen, wie relevant seine Zeugenaussage für das Verfahren sei, meint der Befragte auf eine entsprechende Frage. „Ist das nicht selbstverständlich, dass man darüber nachdenkt, wer etwas dazu beitragen kann?“, Nebenklägerin Götz dazu. „Ja, das kommt darauf an wie man? bewertet, was derjenige gesehen hat“, so Torsten Bo.

 

“Ist Herr M. (der Angeklagte Hans-Ulrich M., Anm. der Red.) beruflich eigentlich ein Ansprechpartner für sie ?“ „Ja, ich bin ja erst 2003 gewechselt. Er ist sehr ruhig und akribisch, jemand von dem ich was lernen konnte.“

 

Rechtsanwalt Isensee kommt auf den Ablauf der Geschehnisse vom 07. Januar 2005 zu sprechen. „Es sah nicht so aus, als hätte S. Hilfe benötigt. Er hätte es ja auch geäußert, wenn es so gewesen wäre. Er hat die Lage im Griff gehabt“ so der Zeuge bezüglich seines ersten Gangs in den Keller. Isensee: „Wie war der Zustand von Oury Jalloh?“ „Er saß aufrecht, recht ruhig im Stuhl. Es war ein Alkoholgeruch im Raum wahrnehmbar. Was ich visuell festgestellt habe, gab es keine Besonderheiten, nichts“, so konkretisiert Torsten Bo. weiter. „Nur noch mal eine Kontrolldurchsuchung“, bewertet der Zeuge heute die Maßnahme, des Abtastens der Beine von Oury Jalloh. Er ginge davon aus, dass die eigentliche Untersuchung schon stattgefunden hätte. Er wisse nicht mehr, ob die Hose Oury Jallohs geöffnet oder geschlossen gewesen wäre.

 

Der Zeuge gibt zur Praxis der Durchsuchungen an, dass „immer durch zwei Beamte durchsucht werden soll“. Er jedenfalls, praktiziere das immer so.

 

„Gab es unterschiedliche Wahrnehmungen zu den Ereignissen?“ fragt der Nebenklagevertreter. „Ja sicher“ entgegnet der Zeuge. „Ist ihnen bekannt, dass sich die Aussage des Angeklagten S. und der Zeugin Beate H. widersprochen haben?“ „Nein, ich habe nur mitbekommen, das es verschiedene Varianten der Aussagen von Frau H. gab.“, hierzu Torsten Bo. ?. Beate H. habe nach den Geschehnissen des 07. Januar 2005 immer versucht Gespräche zu vermeiden. „Sie hat allgemein abgeblockt.“, so der Polizeibeamte.

 

Mit dem damaligen Dienstgruppenleiter Andreas S. habe er über Fehlalarme der Brandmeldeanlage nicht gesprochen, gibt der Zeuge zu Protokoll: „Die gab es ja regelmäßig, das war ja allen bekannt.“

 

Rechtsanwalt Klinggräff will wissen, ob Torsten Bo. in der Zelle Fünf eine Flüssigkeit auf dem Boden wahrgenommen habe. „Es kann sein, dass sie durch Kollegen verdeckt war, aber ich habe konkret nichts wahrgenommen.“

 

Ob die Schlüssel der Hand- und Fußfesseln aus dem DGL-Raum waren, fragt der Staatsanwalt nun noch. Der Zeuge denke, dass nur die Schlüssel für die Fußfesseln von dort seien, wisse es aber nicht genau.

 

Atilla Teuchtler, der Verteidiger des Angeschuldigten Andreas S., ist nun an der Reihe. Er fragt: „Hatten die Beamten Handschuhe an?“ (bei der Durchsuchung, Anm. der Red.). „Das kann ich nicht mehr sagen.“, so der Befragte.

 

Entsprechende Fragen, ob der Zeuge die Brandschutz- bzw. die Gewahrsamsordnung kenne, bejahte er. Auf die folgende Frage: „Hätten sie gewusst, wo im Gewahrsamstrakt ein Feuerlöscher ist?“, versucht Torsten Bo. dies zu beschreiben. Auf das Nachhaken Teuchtler`s: „Sind sie sich sicher?“, muss er allerdings zugestehen: „Nein, bin ich mir nicht.“

 

Der Verteidiger von Hans-Ulrich M., Rechtsanwalt Sven Tamoschus, hat heute keine weiteren Fragen an den Zeugen.

Prozessbeobachtergruppe: http://www.prozessouryjalloh.de