28. Prozesstag

Oktober 25, 2007

25. Oktober 2007 // 9.00 – 10.00

“Wenige Minuten danach war dann der komplette Vorraum schwarz, überall Rauch und Nebel. Da wusste jeder, hier ist was“

 

Verkehrspolizistin im Zeugenstand // Tatortvideo verschwunden

 

 

 

Der 28. Prozesstag im Hauptverfahren um den Feuertod Oury Jallohs vor der 6. Strafkammer am Landgericht Dessau-Roßlau beginnt heute zunächst mit der Ankündigung der Nebenklagevertreterin Regina Götz, eine Erklärung abgeben zu wollen. Der vorsitzende Richter Manfred Steinhoff möchte jedoch zunächst die geladene Zeugin Melanie N. „nicht warten lassen“.

Im allseitigen Einvernehmen beginnt die Befragung der 43jährigen Polizeibeamtin des Polizeireviers Dessau. Die Zeugin sei als Verkehrssicherheitsberaterin in der Präventionsabteilung des Reviers tätig. Ihr Büro befinde sich im 2. Obergeschoss in Richtung Innenhof. Am 07. Januar 2005 sei sie zudem im Dienst gewesen. „Ich habe erfahren, dass jemand im Gewahrsam ist, das ist ja nicht ungewöhnliches“, sagt die Polizistin zur Frage des Vorsitzenden, ob sie zu diesem Zeitpunkt gewusst hätte, dass sich jemand im Gewahrsamstrakt befinde.

Die Beamtin sagt weiter aus, dass sie sich zwischen 12.30 Uhr und 13.00 Uhr im Erdgeschoss in einem Pausenraum befunden habe. Sie wisse genau, dass sie dort mit ihrer Kollegin Frau Pa. (mehr dazu hier…) und eventuell mit dem Beamten Böt. zusammen gewesen wäre. „Hat jemand mal eine Decke“, soll laut ihrer Erinnerung der Leiter des Reviereinsatzdienstes, Heiko Kö. (mehr dazu hier…) zu Frau Pa. gerufen haben. In dieser Situation habe die Zeugin, so gibt sie heute an, am Anfang des Flures im Erdgeschoss gestanden und von dort die Szenerie beobachtet. „Herr Kö. hat in der Zwischentür gestanden“, konkretisiert die Befragte. Ihr sei nicht erinnerlich, dass in diesem Moment die Anwesenden im Empfangsbereich Hektik ausgestrahlt hätten. Annette F. (mehr dazu hier…) habe sie im Pförtnerhaus nicht bewusst wahrgenommen. Auf erneute Nachfrage Steinhoffs bestätigte die 43jährige, das Frau Pa. dem Beamten Heiko Kö. die Decke überreicht habe: „Er hat sie (die Decke; Anm. d. Red.) genommen und dann ist er weg“.

“Wenige Minuten danach war dann der komplette Vorraum schwarz, überall Rauch und Nebel. Da wusste jeder, hier ist was“, sagt die Zeugin und beschreibt damit ihre Wahrnehmungen weniger Minuten nach der Deckenübergabe. Kurz darauf hätte der Kollege Böt. alle Polizeibeamte aufgefordert: „Alle in den Büros bleiben“. Sie wäre dieser Aufforderung umgehend gefolgt: „Ich habe nicht den Treppenaufgang genommen, sondern den Seiteneingang“, beschreibt sie ihren damaligen Weg in ihren Dienstraum im 2. Obergeschoss. Dort angelangt, habe sie aus dem Fenster geschaut und „ganz viele Leute auf dem Hof gesehen“. Auf Nachfrage kann sie sich konkret an den Revierleiter Gerald K. (mehr dazu hier…), Heiko Kö., Gerhardt Mö. (mehr dazu hier…) erinnern. Ob sie den Hauptangeklagten Andreas S. auf dem Hof gesehen habe, wisse sie nicht mehr genau. Als sie das erste Mal auf dem Hof geschaut habe, wären Feuerwehr und Krankenwagen noch nicht da gewesen. Außerdem habe sie niemals mit den Angeklagten über die Ereignisse des 07. Januar 2005 gesprochen: „Wie sind doch ganz andere Bereiche“.

Rechtsanwalt Regina Götz eröffnet die Befragung für die Nebenklage: „Sind Sie sicher, dass der Herr Kö. die Decke von Frau Pa. bekommen hat?“ „Ja“, antwortet die Zeugin. Sie könne sich nicht daran erinnern, ob sich zum Zeitpunkt der Deckenübergabe der Revierleiter K. im Eingangsbereich aufgehalten habe. In diesem Moment, da ist sich die Zeugin heute sicher, habe sie im Erdgeschoss noch keinen Brandgeruch feststellen können.

Regina Götz hält nun aus der Akte vor, dass Frau Pa. ausgesagt habe, dass sie zusammen mit Melanie N. nach der Aufforderung des Kollegen Böt. zunächst in ihr Dienstzimmer im Erdgeschoss gegangen sei. „Vielleicht nur kurz“, so die Zeugin dazu.

Felix Isensee setzt die Befragung der Zeugin fort und möchte zunächst wissen, ob sie sich erinnern könne, dass die Tür zum Glaskasten (Pförtnerhaus im Eingangsbereich des Reviers; Anm. d. Red.) offen gestanden habe. Diese Frage bejaht die 43jährige. Außerdem habe sie im Eingangsbereich keine Rufe wie „Feuer“ oder „Es brennt“ gehört. Der Nebenklagevertreter will wissen, wie die Zeugin denn erfahren habe, was am 07. Januar 2005 im Revier tatsächlich passiert sei. „Durch die Zeitung, Fernsehen und Rundfunk“, so die Verkehrspolizistin. Sie habe am Brandtag im Revier noch nicht erfahren, dass ein Mensch zu Tode gekommen sei. „Das habe ich aus dem Radio erfahren“, konkretisiert sie ihre Angaben. Sie persönlich habe im Revier nie an einer Dienstbesprechung teilgenommen, bei welcher der Brand thematisiert worden sei.

Rechtsanwalt Teuchtler, der Verteidiger des Hauptangeklagten Andreas S., möchte von der Zeugin wissen, ob der Flur im Erdgeschoss gerade verlaufe oder eine Biegung beschreibe und sich damit der baulichen Struktur des Gebäudes anpassen würde. „Der Flur ist gerade“, so Melanie N.

Richter Steinhof fordert die Zeugin auf, die entsprechende räumlichen Gegebenheiten und die Anordnung der Dienstzimmer im Erdgeschoss etwas genauer zu beschreiben. „Vier Zimmer auf der rechten Seite, drei Türen auf der linken Seite“, gibt die Befragte zu Protokoll.

Nach 25minütiger Befragung wird die Zeugin unvereidigt entlassen.

Nun erhält Regina Götz die Gelegenheit, die bereits angekündigte Erklärung zur Zeugenaussage des Brandgutachters Peter K. (mehr dazu hier…) vom Landeskriminalamt (LKA) Sachsen-Anhalt abzugeben. „Es ist ja allen aufgefallen, dass er den Inhalt des Beutels, in dem das gefundene Feuerzeug war, vollkommen unterschiedlich beschrieben hat“, so Götz. Damit spielt sie auf die aus ihrer Sicht widersprüchliche Beschreibung der sichergestellten Feuerzeugreste durch den KOK Hei. (mehr dazu hier…) an. Götz bezweifelt zudem, dass überhaupt ein Brandermittler des LKA die Spuren in Zelle 5 gesichert habe: „Für mich hat es sich erschlossen, dass kein Brandgutachter vor Ort war“. Götz weiter: „Da sind offensichtlich große Versäumnisse geschehen“. Richter Steinhoff kommentiert: „Abwarten“. Götz spricht von „einer Reihe von Ungereimtheiten“ und regt zudem ein weiteres Expertengutachten an.

“Da ist eine ganze Menge Zeugs drin“, sagt Richter Steinhoff und meint damit, dass die Kisten mit den angeforderten Asservaten beim Landgericht eingetroffen sei (mehr dazu hier…) . „Da holen wir einfach einen Tisch rein und gucken uns das an“, sagt Steinhoff dazu und kündigt eine Inaugenscheinnahme der Brandüberreste für den 14. November 2007 an.

Der Vorsitzende überrascht alle Prozessbeteiligten dann mit der Aussage, dass es eine Videoaufzeichnung vom Brandort gegeben habe. Laut Angabe des KOK Hei., habe das LKA die Aufzeichnung jedoch nicht mehr. „Die müssen wir irgendwo finden“, sagt Manfred Steinhoff.

Nun stimmt das Gericht mit den Anwälten die Zeugenliste für die Verhandlungstage im November und Dezember 2007 ab. In diesem Zusammenhang weist Steinhoff den Verteidiger des Hauptangeklagten explizit auf eine Aussage des Polizeibeamten Hagen W. hin, die sich in einem neuen Band der Akte befinde. „Die sollten Sie mit ihrem Mandanten besprechen“, so der Vorsitzende.

Rechtsanwalt Teuchtler und sein Mandant Andreas S. werfen daraufhin einen kurzen Blick auf die Seite „Rück 38“ der Akte. Ihre Blicke wirkten dabei versteinert. Das Gericht legte fest, dass der Zeuge Hagen W. am 14. November befragt werden soll.

 

Prozessbeobachtergruppe: http://www.prozessouryjalloh.de