21. Prozesstag

August 30, 2007

21. Prozesstag – 21. August 2007 // 9.00 – 13.45

„Als ein Mensch, der sich noch für irgendwas interessiert, haben Sie nicht mit Kollegen darüber gesprochen. Da müssten wir ja total verblödet und dumm sein, wenn wir das glauben.“

Richter Steinhoff haut mit der Faust auf den Tisch und ermahnt erneut Zeugen, vor Gericht die Wahrheit zu sagen – Verwaltungsangestellte und Leiter des Verkehrsdienstes befragt

Am 21. Prozesstag wird zunächst die 53-jährige Zeugin Christine Bo. in den Zeugenstand gerufen. Sie sei als Sachbearbeiterin Technik im Polizeirevier Dessau u. a. für die Materialbeschaffung und den Fuhrpark zuständig und der Verwaltungsabteilung zugehörig. Zum Zeitpunkt des Brandgeschehens hätte sie in ihrem Zimmer allein den Dienst versehen.

Am 07. Januar 2005 habe sie von einer Kollegin erfahren, dass ein Mensch in den Gewahrsamstrakt untergebracht wurde Die Zeugin erläutert ihre Gewohnheiten im Revier: „Freitags immer gegen 12.00 Uhr“, ginge sie zum Essen. Auch an besagtem Tag sei dies so gewesen. Sie habe zudem alleine gegessen und kann sich noch erinnern, dass sie „die Letzte“ von ihren KollegInnen gewesen sei.

Nach dem Verlassen der Kantine habe sie auf dem Hof des Polizeireviers die Feuerwehr, einen Notarztwagen und „jede Menge Leute“ wahrgenommen. Sie habe dann über einen Seiteneingang das Hauptgebäude betreten. Dieser befinde sich auf den Hofseite des Reviers: „Durch den Seiteneingang, das Revier hat einen extra Seiteneingang“. Ein Schlüssel sei für diese Tür nicht notwendig. In ihrem Arbeitsbereich angekommen, sei sie gleich in den DGL-Raum gegangen, um anstehende Vorbereitungen für das Wochenende zu erledigen. „So gegen halb eins vielleicht“, erinnert sich die Zeugin an die zeitliche Einordnung. Wer zu diesem Zeitpunkt im DGL-Bereich gewesen sei, weiß die Zeugin heute zunächst nicht mehr genau: „Es waren viele“. Auf Nachfrage des Vorsitzenden Richters Manfred Steinhoff erinnert sie sich, dass Frau Schl. und Beate H. (mehr dazu hier…) anwesend gewesen wären. Frau Kerstin Se. (mehr dazu hier…) habe sie dort nicht gesehen. „Ich habe mitgekriegt, das Beate H. telefoniert hat“, so Christine Bo. Zum Inhalt dieses Gespräches könne sie jedoch nichts sagen. Außerdem habe sie ihre unmittelbare Vorgesetzte Frau Schl. grob über die Sachlage informiert, dabei habe die Kollegin allerdings nicht erwähnt, dass sich im brennenden Gewahrsamstrakt noch ein Mensch aufhielt. Ob im DGL-Raum irgendwelche Aktivitäten entfaltet worden seien, ob es hektisch zuging oder telefoniert wurde, möchte der Richter von der Zeugin wissen. „Hektik weniger, aber telefoniert“, so Christine Bo. dazu.

 

Oberstaatsanwalt Christian Preissner geht zunächst auf die Hoftür ein, durch die die Zeugin nach der Mittagspause das Revier betreten haben will. „Das ist eine große Stahltür, die mit schweren Hebeln geöffnet wird“, konkretisiert die Befragte ihre Angaben. Der Hausmeister würde diesen Zugang zu Dienstende immer verschließen. Wenn man durch diese Tür ginge, würde man in das Treppenhaus und in alle anderen Bereiche des Reviers gelangen. Dazu ordnet der Vorsitzende dann zunächst eine Inaugenscheinnahme am Richtertisch an.

Preissner führt fort und will wissen, ob sie auf ihrem Weg von der Kantine in den DGL-Bereich in ein Gespräch verwickelt worden sei. Dies verneint die Zeugin. „Haben sie da groß etwas wahrgenommen (im DGL-Raum; Anm. der Red.)?“, hakt der Anklagevertreter nach. „Frau Schl. berichtete, dass es unten im Keller brennt“, so die Verwaltungsangestellte.

 

Am Vormittag habe sie aufgrund ungewöhnlicher Geräusche bei einem Toilettengang geschlussfolgert, dass sich im Gewahrsamstrakt jemand befinde. Die Toilettenanlage befinde sich nämlich direkt über dem Trakt im Keller. Auf ihrem Rückweg von der Toilette müsse sie am Eingangsbereich vorbei. Dort habe sie zwei uniformierte Beamte im „vorbeigehen wahrgenommen“, die der Einlassangestellten Anette F. (mehr dazu hier…) gerade berichtet hätten, dass sie von einem Kontrollgang im Gewahrsam kamen. Um welche uniformierten Beamten es sich gehandelt haben könnte, kann die Zeugin auf Nachfrage nicht sagen. „Wenn jemand im Gewahrsamstrakt ist, ist das eine Situation, die nicht alltäglich ist“, so die Zeugin. Nach ihrer Rückkehr aus der Kantine habe sie zudem im Flur des Reviers Brandgeruch wahrgenommen, nicht jedoch im Hof. Sie weiß darüber hinaus nicht mehr, welche Personen sich zu diesem Zeitpunkt auf dem Hof aufgehalten haben könnten. Preissner stellt dann eine sehr direkte Frage: „Haben sie Angst empfunden?“ Die Zeugin bejaht diese Frage: „Als ich dann im DGL-Bereich war, dann schon, man weiss ja nicht, wie weit das im Gebäude fortgeschritten ist“. Es habe keine Lautsprecherdurchsagen oder rufende Anweisungen bezüglich des Verhaltens in diesem Brandfall gegeben. Zum Feierabend wäre sie „zur Stempelung“ gegangen und dann zu ihrem PKW, den sie immer vor dem Revier parke.

 

Sie habe erst am Abend des 07. Januar 2005 aus dem Radio erfahren, dass jemand im Revier verbrannt sei. Am darauffolgenden Montag, den 10. Januar 2005, habe sie wieder Dienst gehabt. „Es hat ein kurzes Informationsgespräch für alle gegeben“, antwortet Christine Bo. auf die Frage des Staatsanwalts, wie sie im Revier erstmals über die Vorkommnisse informiert worden sei. Dies sei durch ein Statement des Revierleiters K. erfolgt, der üblicherweise jeden Morgen in ihr Zimmer käme. Dabei hätte der Revierleiter im Detail nichts berichtet. So hätte beispielsweise die Hautfarbe oder Ethnie des Verstorbenen keine Rolle gespielt. Preissner fragt, ob dabei thematisiert worden sei, wie der Verstorbene umgekommen sei. „Nein, nur dass jemand umgekommen sei“, antwortet die Zeugin darauf. K. hätte ihr diese Information mündlich und stehend vermittelt. Sie könne sich auch an „schriftliche Mitteilungen“ zum Todesfall Oury Jalloh erinnern. Diese wären hausintern im Revier verteilt worden. In ihrer Abteilung sei dafür der Leiter der Verwaltung, Herr Mi., zuständig gewesen. Preissner fragt in diesem Zusammenhang ob es Hinweise gegeben hätte, wie sich Mitarbeiter oder Beamte gegenüber Journalisten und der Staatsanwaltschaft zu verhalten hätten. „Ist mir nicht bekannt“, antwortet die Zeugin kurz und knapp. Auch etwaige Zeugenaufrufe die womöglich im Revier kursierten, wären ihr nicht bekannt. „Ich bin nicht der Typ, der aus Neugier bei Kollegen nachfragt.“, begründet Christine Bo. ihre marginalen Informationen.

 

“In meinem Beisein nicht“, antwortet die Angestellte auf die Frage, ob sie im Revier Gespräche über die Aussage der Beate H. mitbekommen habe. Ihr wäre ausschließlich über die Medien bekannt geworden, dass es wohl unterschiedliche Versionen der Abläufe gebe. Die inhaltlichen Aussagen der Beate H. wären ihr trotzdem nicht bekannt geworden. Sie habe auch nie im Internet nachgeschaut. „Ich habe eine Gartenzeitung und eine Sportzeitung, aber keine Tageszeitung“, sagt sie zu Preissner hinsichtlich ihrer Lesegewohnheiten.

 

Am Freitagsgespräch im Polizeirevier Dessau (mehr dazu hier…), indem die Polizeizeugen auf ihre Aussagen vor Gericht vorbereitet worden, habe sie nicht teilgenommen. Zu dieser Zeit wäre sie im Krankenstand gewesen. Als sie krankgeschrieben war, habe sie auch von ihrer Vorladung erfahren. Vor ihrer heutigen Aussage im Zeugenstand wäre sie auch nicht polizeilich vernommen wurden. Außerdem sei sie auf ihre Aussage in „keinster Weise“ vorbereitet.

 

“Eine Vorstellung habe ich nicht“, antwortet Christine Bo. auf die Frage der Nebenklagevertreterin Regina Götz, ob sie sich denken können, zu welchen Aspekten sie heute aussagen könnte. „Ich glaube das tun sie nicht“, sagt Götz zur Zeugin und meint damit die Aussagewilligkeit der Zeugin vor Gericht. Aus Sicht der Nebenklage möchte sich Christine Bo. offensichtlich an viele Sachverhalte einfach nicht erinnern. Götz will wissen, ob sie sich über ihre Vorladung vor Gericht mit jemandem unterhalten habe. „Mit den Frauen die schon eine Vorladungen hatten“, so die Zeugin. Dabei sei es „um nichts Konkretes“ gegangen, sondern nur um den Termin der jeweiligen Aussagen. Götz hält der Angestellten aus der Akte nun die Aussage Petra Sch. vor (mehr dazu hier…). Diese Zeugin hatte zu Protokoll gegeben, das sie sich mit Christine Bo. sehr wohl über ihre Zeugenvernehmung unterhalten habe. Christine Bo. dazu: „Das habe ich ja nicht verneint, dass habe ich ja auch erzählt“.

 

Nun kommt Götz noch mal auf das Informationsgespräch mit dem Revierleiter K. am 10. Januar 2005 zu sprechen. Da gibt die Befragte nun an, dass dieses Gespräch doch nur unter vier Augen, nämlich zwischen ihr und dem Revierleiter, in ihrem Büro stattgefunden habe. Zum Staatsanwalt hatte sie einige Minuten zuvor noch ausgesagt, dass an der Unterredung mehrere Personen beteiligt gewesen sein sollen. „Es geht hier nicht darum, das Sie Herrn K. (der Revierleiter, Anm. der Red.) schützen müssen, oder irgendwen anderes. Es geht darum, dass Sie hier einfach mal sagen, was tatsächlich war.“, so Götz leicht ungehalten. Genau dies würde sie tun, reagiert die Zeugin. „Von dem schlimmen Vorfall am Wochenende haben sie ja sicherlich gehört“, sagt die Zeugin und erinnert sich sinngemäß an den Satz des Revierleiters, so wie er ihn im Informationsgespräch aus ihrer Sicht gesagt haben soll. Auf Nachfrage bestätigt die 53-jährige, dass alle Streifenwagen in den Nachmittagstunden bzw. zu ihrem Dienstende am 07. Januar 2005 in Ordnung gewesen seien. Etwaige Schäden oder einen Reparaturbedarf habe sie als Verantwortliche nicht gemeldet bekommen.

 

Hier steigt Preissner nochmals ein und will wissen, ob ihr denn noch im Gedächtnis wäre, ob am Montag oder Dienstag nach dem Brand (10. oder 11. Januar 2005) eine Beschädigung an einem Streifenwagen festgestellt worden sei. Dies wisse sie nicht mehr, gibt die Zeugin an. Weiterhin weist er die Befragte auf ihr widersprüchliches Aussageverhalten hin: „Ich muss Ihnen schon einmal sagen, ich bin sehr verwundert. Bei mir sagen sie Nein, auf die Frage der Frau Rechtsanwältin sagen sie Ja.“. Der Staatsanwalt weiter dazu: „Wir müssen von Ihnen die Wahrheit wissen, und zwar alles“.

 

Rechtsanwalt Isensee greift ins Geschehen ein und redet der Zeugin ebenfalls klar ins Gewissen: „Auch mir sind ein paar Widersprüche aufgefallen, die ich für mich nicht auflösen kann“. Isensee zielt damit auf das Infogespräch mit dem Revierleiter K. ab. Die Zeugin hatte in diesem Kontext zunächst angegeben, dort „belehrt“ worden zu sein. Jetzt sagt sie, das Gespräch hätte nur einen informativen Charakter gehabt.

 

Rechtsanwalt Ulrich von Klinggräff ebenfalls leicht aufgebracht: „Frau Zeugin, so geht das nicht: Sie sagten erst Versammlung, jetzt Einzelgespräch.“

 

Auf wiederholte Nachfrage bleibt die Zeugin zunächst bei ihrer Aussage, dass der Revierleiter zu ihr am 10. Januar 2005 in einem Satz gesagt habe, dass im Gewahrsamstrakt ein Mensch zu Tode gekommen sei. Nach intensiverer Nachfrage sagt sie nur noch, dass der Revierleiter zu ihr gesagt habe: „Sie wissen ja sicherlich, was am Freitag passiert ist“. Die Frage ihres Chefs habe sie bejaht und hätte auch nicht weiter gefragt. Isensee zu dieser neuerlichen Wendung in der Aussage: „Da fragt man sich schon, warum die Zeugin hier offensichtlich lügt“.

 

Richter Steinhoff hakt hier ein: „Dass das, was sie am Anfang gesagt hat, sich mit dem widerspricht, was sie jetzt sagt, das sehe ich auch so.“ Und wendet sich an die Zeugin: „Schauen Sie, dass passt doch hinten und vorne nicht zusammen“. Der Vorsitzende bringt seinen Unmut recht drastisch auf den Punkt: „Ich bin doch nicht blöd!“ Steinhoff meint damit die fehlende Stringenz und Struktur in der Aussage der Christine Bo. : „ Sie können doch nicht vor einer halben Stunde die Formulierung bringen ‚Herr K. hat das gesagt’, und eine halbe Stunde später eine andere!“. Zuerst würde sie von einem Informationsgespräch mit Belehrungs- und Gruppencharakter sprechen, wenig später nur noch von einem Vier-Augengespräch mit dem Revierleiter K., aus dem letztlich nur noch ein aus einem Satz bestehender Monolog des Revierleiters geworden wäre. Und dieser eine Satz hätte dann schließlich nicht einmal mehr einen Mitteilungsgehalt. „Das ist ein Unterschied wie Tag und Nacht. Wenn ich Sie noch zwei Stunden vernehme, bleibt gar nichts mehr übrig.“, so der Richter. Manfred Steinhoff macht sich weiter Luft: „Das ist auch so ein Ding: Sie sitzen da in der Verwaltung, da verbrennt ein Mensch, zwei Polizisten werden angeklagt und keiner redet mit keinem. Als ein Mensch, der sich noch für irgendwas interessiert, haben Sie nicht mit Kollegen darüber gesprochen. Da müssten wir ja total verblödet und dumm sein, wenn wir das glauben.“ „Das es gebrannt hat“, weis die Verwaltungsangestellte dazu zu berichten. Sie persönlich habe sich an Spekulationen über die Brandursache nicht beteiligt, da die Ermittlungen zu diesem Zeitpunkt ja noch im vollen Gange gewesen seien. „Am Montag wurde das Wort Matratze in meinem Beisein nicht erwähnt“, gibt sie auf eine Frage Steinhoffs weiter an. Sie könne sich auch nicht daran erinnern, dass über die Aussage der Beate H. geredet worden sei. „Das liegt nicht in meinen Aufgabenbereich“, so die 53jährige weiter dazu.

 

Isensee kommt nochmals auf das Donnerstagsgespräch zurück. Die Zeugin führt dazu aus, dass dort Informationsmaterialien verteilt worden seien, die „wir als Mitarbeiter des Polizeireviers Dessau schriftlich nachlesen können“. Der Revierleiter Kohl wäre beim 1. Gespräch nach dem Brand (14. Januar 2005; Anm.d.Red.) ebenfalls „als Zuhörer“ dabei gewesen. Außerdem sagt sie zu diesen Hausmitteilungen (mehr dazu hier…): „Mir ist da bekannt geworden, dass sich eine Matratze entzündet haben soll“. In welcher Ausgabe der Hausmitteilungen diese Information stand, könne sie nicht mehr sagen. Sie verneint auch ausdrücklich, dass es im Zusammenhang mit dem Fall Oury Jalloh aus dem Revier eine Anweisung gegeben hätte, nicht mit der Presse zu sprechen. Vielmehr müsse jede MitarbeiterIn und BeamtIn bei Einstellung eine solche Erklärung unterschreiben. Dies würde in Form einer Belehrung vor sich gehen. „Ziemlich am Ende“ einer Donnerstagsrunde hätten sich die MitarbeiterInnen der Verwaltung zudem einen TV-Beitrag angesehen. Sie wisse heute nicht mehr, ob dieser von der ARD oder dem ZDF produziert worden wäre. Nach ihrer Einschätzung hatte die Vorführung den Sinn, dass die Kollegen im Revier eine „präzisere Einschätzung der Geschehnisse“ bekommen. „Ob das der Wahrheit entspricht, was da gezeigt wurde, kann ja jeder für sich selbst entscheiden“, so die Verwaltungsmitarbeiterin. Ihr sei nicht bekannt, dass sich nach dem Ende des Beitrags über dessen Wahrheits- und Realitätsgehalt debattiert worden sei. Sie betont nochmals, dass ihr nicht bekannt sei, dass im Revier über die Aussage der Beate H. geredet worden sei. RA Isensee will wissen, ob denn die Besonderheiten nach dem Vorfall ein Thema gewesen seien. „Der Herr Schubert wurde versetzt, in ein anderes Revier“, so Christine Bo. Das gegen den damaligen DGL und heutigen Hauptangeklagten ermittelt worden sei, habe sie schon mitbekommen. Und „dass eine Mitarbeiterin ihre Aussage korrigiert hat“, habe sie aus den Medien erfahren. Worum es dabei inhaltlich ging, wisse sie nicht, da habe sie nie nachgefragt.

 

Ulrich von Klinggräff bringt nochmals das Donnerstagsgespräch am 14. Januar 2005 auf das Trapez. Die Zeugin sagt aus, dass entweder ihre Vorgesetzte Frau Schl. oder der Leiter der Verwaltung Herr Mi. die Sitzung geleitet habe. Sie wisse zudem noch, dass der Revierleiter die 1. Hausmitteilung zum Fall Oury Jalloh persönlich verteilt habe. Der Rechtsanwalt möchte wissen, ob in dem Gespräch irgendwelche Thesen zur Brandentstehung diskutiert worden wären. „Von Matratze und Brand wurde gesprochen, sonst von nichts weiter“, so die Befragte. Ob an diesem Donnerstag schon ein mögliches Feuerzeug eine Rolle gespielt habe, kann sie nicht mehr sagen. „Es ist eigentlich immer üblich, dass da nicht viel geredet wird, außer über dienstliche Sachen.“, so die Zeugin weiter hierzu.

 

„Das ist doch die entscheidende Frage, wie ein Feuerzeug in die Zelle kommt. Erzählen Sie uns doch nicht, dass darüber nicht gesprochen wurde“, ermutigt Klinggräff die Zeugin zu einer wahrheitsgemäßen Aussage. Schließlich gibt sie an: „Darüber wurde gesprochen, aber wie kann ich nicht sagen. Die Ermittlungen haben vielleicht viele interessiert, aber mich als Verwaltungsangestellte speziell nicht.“ Ob und gegebenenfalls wie sich der Revierleiter am 14. Januar 2005 in das Gespräch eingebracht habe, könne sie nicht sagen.

 

Rechtsanwalt Isensee schließt die Befragung der Verwaltungsangestellten ab. Er möchte von der Zeugin wissen, ob sie sich ganz persönlich die Frage gestellt habe, wie das Feuerzeug in die Zelle 5 gelangt sein könnte. „Sicherlich ist die Frage für mich aufgetaucht: Wie ist das möglich? Wie kann er das mit sich geführt haben?“, so die 53jährige. „Es haben sich alle darüber Gedanken gemacht?“ bohrt Isensee weiter, „Sicherlich. Ja.“, entgegnet die Zeugin. „Aber es gab keine These dazu?“ resümiert der Nebenklagevertreter abschließend, was die Befragte nur mit „Nein“ beantwortete.

 

Die Verteidiger der Angeklagten Andreas S. und Hans-Ulrich M. haben keine Fragen an die Zeugin.

 

 

Als zweiter Zeuge am heutigen Tage wird der 57-jährige Hans-Joachim Bö. befragt.

Am 07. Januar 2005 sei er als Leiter des Verkehrsermittlungsdienstes im Polizeirevier tätig gewesen; sein Büro habe sich unmittelbar rechts neben dem Eingangsbereich, direkt im Foyer des Polizeireviers befunden. An besagtem Tage habe er um 6.30 Uhr seinen Dienst begonnen, jedoch von einer Gewahrsamnahme nichts gewusst. „Nein, das ist an mir vorbei gegangen.“, so der Zeuge dazu. Kurz vor 12.00 Uhr habe er sich in die Kantine begeben und sei auf seinem Weg dorthin den Kollegen Gerhardt Mö. und Andreas S. begegnet, die „eiligen Schrittes die Treppe herunter kamen“. Er könne jedoch nicht sagen, ob die beiden daraufhin in Richtung Keller oder in Richtung Hof weiter gelaufen seien.

 

Andreas S. sei in „schneller Bewegung“ vorangelaufen, Mö. sei schätzungsweise 6 bis 8 Stufen hinter ihm gewesen. Auf Bitte des Richters erläutert der Befragte seinen ‚ Polizeijargon’ näher: ‚Schnellen Schrittes’ bedeute, dass die beiden „schnell gelaufen“ seien. Ob der Angeschuldigte Andreas S. in der Hauswache in diesem Moment noch telefoniert habe, will Steinhoff wissen, was der Befragte mit: „Nein, so etwas habe ich nicht wahrgenommen.“, beantwortet.

 

Er habe zu dem Zeitpunkt keine Geräusche oder Gerüche wahrgenommen: „Gar nichts. Ich bin eiligen Schrittes zur Kantine gegangen. Ich habe nicht im Hofbereich verweilt“.

Nach einer 30-40 minütiger Mittagspause in der Kantine sei er wieder zu seinem Arbeitszimmer zurück gekehrt; bei Betreten des Hofes habe er dann Polizisten, Rettungsdienst und Feuerwehr dort angetroffen. „Rechts abseits“ befanden sich seiner Aussage nach der Revierleiter K. und der Leiter der Revierkriminaldienstes Hanno S., die sich „sehr angeregt unterhalten“ hätten. Aus dem Hintereingang sei „dicker schwarzer Rauch“ gequollen, daraufhin habe er Herrn K. angesprochen: „Halt! Was ist denn jetzt hier los? Warum brennt’s denn hier?“ K. habe ihn darüber informiert, dass im Gewahrsamstrakt ein Feuer ausgebrochen sei, woraufhin der Zeuge sich erkundigt habe, ob Gefahr für seine Kollegen bestehe. „Ich habe gefragt, ob wir weiterarbeiten können, das wurde bejaht durch den Revierleiter.“ K. habe ferner angeordnet, dass er „dafür Sorge trage[n], dass sich kein Kollege entfernt“, bis er anderes anordnet. Überdies habe K. ihn angehalten, für eine Durchlüftung der Räume zu sorgen.

 

Der Zeuge gibt an, er sei nachfolgend die Zimmer seiner Kollegen abgelaufen, um der Anordnung des Revierleiters Folge zu leisten. Im Büro des Unfalldienstes habe er die Kollegen Frau Ka. und Herr Sei. informiert, im Zimmer des Ermittlungsdienstes habe er mit Frau Pa., Herrn Pr. und Herrn Schr. gesprochen.

 

Der Richter erfragt weiter, ob Herr K. den Zeugen auch darüber in Kenntnis gesetzt habe, dass sich im Gewahrsamstrakt noch jemand befinde. Der Befragte verneint dies, führt jedoch an, dass er auch nicht danach gefragt habe, da er es „geschlussfolgert [hatte], wegen dem Rettungswagen“.

 

Weiter soll der Zeuge den mentalen Zustand von Gerald K. und Andreas S. zum Zeitpunkt des Brandes einschätzen, worauf er entgegnet, Andreas S. gar nicht auf dem Hof angetroffen zu haben. Er habe des weiteren die Kollegen Mö . und Kö. wahrgenommen, die beide seien rußverschmiert gewesen. Ob sie aufgeregt gewesen wären, erkundigt sich der Vorsitzende weiter: „Aus heutiger Sicht kann man sagen, ja“, antwortet der Befragte.

Er habe ferner mit niemandem darüber gesprochen, „wie es kommt“, dass es in einer feuerfesten Zelle brennt. Erst kurz vor Feierabend habe er dann „das Gerücht“ gehört, dass sich zum Zeitpunkt des Brandes jemand im Gewahrsamstrakt befunden habe, „dass dort etwas Schlimmes passiert sein soll“. Er habe sich gedacht: „ Am Montag, zur Frühberatung wirst du Konkretes hören“ und habe dann seinen Dienst beendet.

 

Am darauffolgenden Montag schließlich habe er bei der Frühberatung erfahren, „ dass praktisch ein schwarzafrikanischer Bürger im Keller sein Leben lassen musste“. Dies habe er dann an seine Kollegen weiter getragen.

Ob er überdies nach dem 07. Januar 2005 mit den beiden Angeklagten oder Beate H. über die Ereignisse gesprochen habe, verneint der Zeuge.

 

Der Staatsanwalt beginnt seine Befragung mit näheren Erkundigungen bezüglich der Kaffeeecke im Flur des Erdgeschosses. Dort hielten sich nach Aussage des Zeugens zum Zeitpunkt seiner Rückkehr keine Beamten auf: „Ich kann nicht sagen, ob jemand da war“.

Er habe weiterhin keine Aktivitäten zu Hilfeleistungen im Flur wahrgenommen, er habe ebenfalls „nicht mitbekommen“, dass jemand nach einer Decke gefragt hätte.

Preissner geht nun noch genauer auf den Zeitpunkt vor dem Kantinenbesuch des Befragten ein. Wo er die beiden Kollegen auf der Treppe das erste Mal wahrgenommen habe, beantwortet der Zeuge mit: „Auf dem Zwischenpodest“. Er habe die beiden jedoch nicht angesprochen und sei auch von ihnen nicht angesprochen worden, er „war nur verwundert, warum die da runterkamen“. Andreas S. und Gerhardt Mö. hätten sich zwar unterhalten, er habe jedoch nicht gehört, worüber.

 

Über die Mitarbeiterin des Einlassdienstes, Frau F., wisse er, dass sie an besagtem Tage Dienst gehabt habe. Wahrgenommen habe er sie jedoch nicht.

 

Der Staatsanwalt will nun Näheres zum Dienstablauf des Zeugen am 07.Januar wissen. So sei auch an diesem Tag eine seiner ersten Tätigkeiten die Teilnahme an der Frühberatung gewesen, welche um 6.45 Uhr begonnen und etwa 20 Minuten in Anspruch genommen habe. Diese habe im Büro von Herr S. stattgefunden, und habe keine Besonderheiten aufgewiesen. Sie seien zwar die Journale mit den Ereignissen der letzte 24 Stunden durchgegangen, über eine Gewahrsamnahme sei jedoch nicht gesprochen worden. Zu diesem Zeitpunkt habe der Zeuge folglich nichts über Oury Jalloh gewusst.

 

Nach der Besprechung sei er in sein Dienstzimmer zurück gekehrt. Als nächstes habe er sich auf seine übliche „kleine Runde“ begeben, um seine Mitarbeiter zu begrüßen. Die Frage des Staatsanwaltes, ob an diesem Tage auch in seinem Zimmer eine Dienstbesprechung stattgefunden habe, verneint er.

 

Da andere Befragte des Polizeireviers vor Gericht ausgesagt haben, dass es zwischenzeitlich auf dem Flur „laut geworden“ sei, wird der Zeuge zu seiner Wahrnehmung an besagtem Vormittag befragt. Er habe nichts gehört, sei jedoch nicht durchweg in seinem Büro zugegen gewesen: „Kann sein, dass ich bei der Kripo war“.

Zu den Geschehnissen im Hof des Reviers ein weiteres Mal befragt, weiß der Zeuge sich zu erinnern, dass der Revierleiter K. kurz und knapp gewesen sei, als er mit ihm sprach. Der Kollege Hanno S. habe K.’s Anweisungen nichts hinzugefügt. Ferner habe der Befragte keine Auffälligkeiten an den beiden Beamten wahrgenommen. Er habe weder etwas an ihren Händen noch nasse Uniformen bemerkt, die Gesichter seiner Kollegen seien jedoch rot gewesen. Obgleich der Zeuge Herrn K. schon seit „vielen Jahren“ kenne, könne er nicht sagen, ob dieser sich auffällig anders als sonst verhalten habe.

 

„Gab es [am darauffolgenden] Montag Hinweise an die Bediensteten?“, erkundigt sich der Staatsanwalt weiter, worauf Zeuge Bö. die Hausmitteilungen, die „zu einem späteren Zeitpunkt“ herumgingen, erwähnt. Er habe diese „in Papierform“, in sein Postfach erhalten; er wisse jedoch nicht, ob sie auch ausgehängt worden seien. Er habe sie dienstlich weiter verwendet, er könne sich nicht entsinnen, ob er sie weitergereicht oder die Informationen in der Frühberatung kund getan habe. Nach seiner Einschätzung hätten nur die Vorgesetzten diese Mitteilungen erhalten. Herr Preissner interessiert der Inhalt des Schriftstückes: ob darin etwas über Ursachen des Feuers, Umgang mit den Medien oder über die Ermittlungsverfahren gegen Polizisten des Reviers gestanden habe. Der Zeuge entgegnet: „Tut mir leid, das kriege ich nicht mehr hin“. Darüber hinaus hätten seines Wissens nach keine mündlichen Beratungen zum Vorfall Oury Jalloh statt gefunden. Zwar hätte seit diesem Tage an Beratungen mit Herrn K. teilgenommen, explizit seien dies die täglichen Frühberatungen gewesen, in denen jedoch nicht genauer auf das Brandgeschehen eingegangen worden sei: „Nur in der letzten Zeit, als bekannt wurde, dass ‚ne Aufstellung gemacht werden sollte, über alle Mitarbeiter im Dienst [am 07.Januar 05, Anm.d.Red.]“.

 

„Es ist sicherlich nicht totgeschwiegen worden, aber es war auch nicht Tagesthema.“, so Hans-Joachim Bö. dazu, ob unter den Kollegen über das Geschehen gesprochen wurde. Da der Zeuge dabei bleibt, dass im Revier kaum über den Fall Oury Jalloh gesprochen werde, beanstandet Preissner: „Herr Bö., sie machen es sich und uns allen unnötig schwer“. Und nach weiterer Befragung gibt der Zeuge zu: „Mich hat das auch bedrückt. Ich hab mich drüber unterhalten, mit P. oder mit meinem Chef“. Er habe sich jedoch „da rausgehalten“. Ferner beklagt er, dass das Polizeirevier Dessau durch den Vorfall in solch schlechtes Licht gerückt sei. Auch Andreas S. täte ihm leid, in ein solches Verfahren verwickelt zu sein.

 

Zu seinem Wissen über die verschiedenen Verhöre von Beate H. befragt, äußert Zeuge Bö., dass er zwar von der polizeiliche Vernehmung durch die Stendaler Kollegen gewusst habe, jedoch weder von der richterlichen Vernehmung noch von jeglichen Inhalten der Befragungen gehört habe. Auch den Medien habe er diesbezüglich nichts entnehmen können, er lese allgemein wenig Zeitung. Zudem kommuniziere er selten mit seinen Mitarbeitern und pflege kaum Kontakte im Hause. Er habe keinerlei engere Verbindungen zu Heiko Kö., den Angeklagten M. und S. , dem Revierleiter K. oder Gerhardt Mö. Auch an den Bowlingabenden der Revierkollegen würde er nicht teilnehmen.

 

Schlussendlich erfragt der Staatsanwalt die Vorbereitung des Zeugen auf seine heutige Vernehmung. Dieser erläutert, er habe sich über das Internet informiert, sei seinen Dienstplan noch einmal durch gegangen, und habe „für sich in einer stillen Ecke versucht zu recherchieren“.

 

Rechtsanwältin Regina Götz eröffnet den Prozessbeteiligten nun weitere Widersprüche und Unstimmigkeiten in den Aussagen des heutigen Zeugen. Zunächst sucht sie eine vorangegangene Formulierung Bö.’s zu ergründen. Dieser hatte auf die Frage des Staatsanwaltes über den Grad des Aufregung von Gerald K. und Herrn Schulz zum Zeitpunkt des Brandes geäußert: „Aus heutiger Sicht kann man sagen, Ja“. Diese Aussage sei ihr regelrecht aufgefallen – der Zeuge kann seine Wortwahl jedoch nicht erklären: „Das war unüberlegt und falsch formuliert“.

Ein zweiter Grund für Verwunderung sei die Schlussfolgerung des Zeugen auf das Rettungsfahrzeug im Hof, dass ein Mensch zu Schaden gekommen sei. Dies hätte „ein Kollege oder jemand anderes sein können“. Warum er nicht nach gefragt habe, will Regina Götz wissen. Der Revierleiter habe auf seine Anfrage, Gefahr für die polizeilichen Mitarbeiter negiert, zudem habe er seine Kollegen in ihren Räumen angetroffen. „Außerdem hatte ich soviel Arbeit, so dass ich nicht für Plausch und Tratsch Zeit habe. Mein Arbeitsfeld ist sehr aufwändig“.

Kurz vor Dienstende habe ein Kollege ihn angesprochen: „ Hast du schon mitgekriegt, dass da jemand im Gewahrsamstrakt war? Der muss wohl schwer verletzt worden sein“. Er habe diese Aussage jedoch vorerst als Gerücht gehandelt und diesen Gedanken auf die Frühberatung am Montag als Informationsquelle verlegt. „Warum sollte das ein Gerücht sein? Sie haben doch den Rettungswagen gesehen.“ Er habe diese Informationen durch einen Beamten aus seiner Abteilung erhalten, wisse jedoch nicht mehr, um wen genau es sich dabei handelte. „Ich hab es einfach so hingenommen“.

Als Regina Götz ihn nun ein weiteres Mal diesbezüglich zitiert, verneint der Zeuge sein vor kurzer Zeit Gesagtes. Bö. hatte zu Protokoll gegeben, dass er schon an besagtem Freitag gewusst habe, dass „jemand zu Tode gekommen sei“. Er habe dies nie gesagt; auf Widerspruch und erneutes Zitieren durch RAin R. Götz und Ra F. Isensee weiß er nichts zu entgegnen.

 

 

Bei der Frühberatung am darauffolgenden Montag habe sich Herr Schulz dann laut Zeugenaussage wie folgt geäußert: „Sinngemäß, ‚dass sich ein trauriges Ereignis ereignet hatte. Am Freitag. Dass ein schwarzafrikanischer Bürger sein Leben lassen musste, dass er verbrannt ist. Ich denke auch, dass ein Feuerzeug eine Rolle spielte und das Herr S. an dem Tag DGL war“. Frau Götz reagiert umgehend: „ Was war denn mit dem Feuerzeug?“. Der Zeuge meint sich erinnern zu können, dass schon zu diesem Zeitpunkt das Feuerzeug als Stichwort gefallen sei, er wäre sich jedoch nicht sicher. „ Dass der oder die Kollegen bei der Durchsuchung ein Feuerzeug übersehen haben mussten“, dies sei seine Schlussfolgerung gewesen.

Der letzte Themenkomplex in Regina Götz Befragung ist die Kenntnis des Zeugen über die Vernehmungen der Beate H. Der Zeuge wiederholt, dass er zwar von dem polizeilichen Verhör gewusst habe, jedoch nichts über dessen Inhalt. „Höchstens über das Internet“, oder über Zeitungsartikel, die er aber „nur sehr oberflächlich gelesen“ habe. Rechtsanwältin Götz zeigt sich erstaunt und hakt nach: „Würden Sie beschwören, von den Inhalten der Vernehmungen nichts zu wissen? Ich meine, das weiß doch jeder?“. Worauf der Zeuge entgegnet: „Es tut mir leid, ich weiß es nicht.“ Götz fährt fort: „Wissen Sie, dass Frau H. Herrn S. belastet hat?“ „Das hab ich gelesen.“, so der Beamte daraufhin. „Gerade sagten Sie, sie wissen gar nichts darüber.“, echauffiert sich die Nebenklägerin auf diesen Widerspruch.

 

„Stand in den Hausmitteilungen, dass Herr S. den Alarm ausgedrückt haben soll?“ so Götz – „Dazu kann ich nichts sagen“. Auch ob Beate H.’s Aussagen in einer der Hausmitteilungen aufgetaucht wären, wisse er nicht. Regina Götz schließt mit den Worten: „Ich gebe auf“.

 

Rechtsanwalt Isensee beginnt nun seine Befragung: „ Hat Frau P. von der Decke erzählt?“. Er spielt auf die Rettungsdecke beim Brandvorfall an. „Nein, das habe ich nicht gesehen“, entgegnet der Zeuge. „Nein, da waren Sie ja auch Essen“, kontert Felix Isensee. „Ich kann mich nicht daran erinnern“ schließt der Befragte.

Ob ihm bekannt gewesen sei, dass der Polizeidienst Stendal noch am selben Tag die Ermittlungen eingeleitet habe. „Ja, davon habe ich am Montag erfahren, oder ein paar Tage später“, so Hans-Joachim Bö.

Der Inhalt des polizeilichen Verhörs von Gerhardt Mö. sei ihm ferner durch das Internet bekannt, zu den Befragungen der Angeklagten Andreas S. und Hans-Ulrich M. erläutert der Zeuge jedoch: „Ich kenne diese Vernehmungen nicht“. Mit Beate H. habe er dienstlich des Weiteren „nichts zu tun“. Ihre Versetzung sei ihm aber bekannt gewesen, der Grund nicht. Er interessiere sich jedoch auch nicht dafür.

 

Wie sein Interesse an den Ermittlungsverfahren gegen seine Kollegen aussehe, forscht der Nebenklagevertreter nach. „Ich habe dazu meine eigenen Meinung. Dennoch nehme ich es zu Kenntnis.“ RA Isensee zitiert darauf eine Aussage des Zeugen „ Sie haben gesagt: ‚Der S. tat uns leid’. Wer ist denn ‚uns’?“ Der Befragte gibt an, mit ‚uns’ sich selbst und Frau P. gemeint zu haben, worauf Isensee nachhakt, ob ihm denn nicht auch der Herr M. leid tue. „Da bezieh ich den Kollegen M. mit ein, dass es mir leid tut.“

 

Rechtsanwalt Ulrich von Klinggräff geht zunächst näher auf den Kantinenbesuch des Zeugen ein. Der Zeuge gibt an, dort keine Kollegen getroffen und vermutlich alleine gegessen zu haben. Er habe überdies weder Hans-Ulrich M. noch Udo S. dort wahrgenommen.

Zu seinem Kollegen Gerhardt Mö. weiß der Befragte Bö. zu berichten, dass er durch das Internet über dessen zweimalige Befragung vor Gericht erfahren habe. Als Grund vermute er den bedenklichen Gesundheitszustand von Mö., zudem die Tatsache, dass dessen Aussagen zweifelhaft gewesen seien. Warum dies so wäre könne er jedoch nicht sagen. Er habe die Aussagen zwar gelesen, doch seien die Informationen zu zahlreich, so dass er sie nicht rekonstruieren könne. Ferner habe er mit Mö. wenig zu tun und nicht mit ihm darüber gesprochen. Auch die Widersprüche zwischen den Aussagen Kö.’s und Mö’s habe er zu Kenntnis genommen, benennt sie jedoch erst nach einigem Zögern als Divergenzen zu einem Telefonat (vermeintlicher Anruf von Andreas S. aus der Hauswache, Anm. d. Red.)Die Frage, ob er die Vermutung habe, dass seine Angaben etwas mit dem Widerspruch dieser beiden Aussagen zu tun habe, versteht der Zeuge zunächst nicht, dann verneint er sie.

 

Auch der Verteidiger des Angeklagten S., Attila Teuchtler, erfragt nun noch einmal die Details zu der Begegnung des Zeugen mit den Kollegen Gerhardt Mö. und Andreas S. auf der Treppe am 07.Januar 2005. Ob die Erinnerung des Zeugen sicher wäre oder möglicherweise durch „das viele Lesen im Internet getrübt“ sein könne, erkundigt sich Teuchtler. Daraufhin erklärt der Zeuge Bö. umgehend, dass er sich seiner Erinnerung sicher sei. Als Teuchtler nun vom Zeugen nochmals genau wissen will, ob der Angeschuldigten Andreas S., seinen Wahrnehmungen nach, vielleicht doch in der Hauswache telefoniert haben könne, folgt der Befragte plötzlich der These des Verteidigers.

 

Nun interveniert der vorsitzende Richter sichtlich erregt. Er beklagt die eklatanten Widersprüche in der heutigen Vernehmung und fordert eine „klare, wahrheitsgemäße Antwort“. Der Zeuge solle sich nun „ohne Wenn und Aber, ohne Konjunktiv und ‚ich kann mich nicht mehr erinnern’“ äußern. Als der Zeuge bei seinem „ich kann das nicht genau beantworten“ bleibt, wird der Richter barsch: „Zum Schluss hauen Sie sich selber noch in die Pfanne!“ Zu der vehementen Weigerung des Zeugen, deutlicher zu werden, fügt der Richter hinzu: „Man kann solange vorsichtig sein, bis man seinen Kopf in der Schlinge hat“. Weiter wütet er und haut nun mehrfach energisch mit geballter Faust auf den Tisch: „Kaum spricht Sie der Verteidiger von S. an, können Sie nicht mehr klar antworten“. Er bemängelt, dass der Befragte möglicherweise versucht, seinen ehemaligen Vorgesetzten zu schützen, und ihn und sich noch tiefer „hineinreitet“. „Da werden Sie schon dreimal gefragt und das klare Antworten ist immer noch nicht möglich!“

Deutlich kleinlaut wird Bö. weiter von Teuchtler befragt, wie sich die Tür zu seinem Büro öffne. „Nach innen links“, antwortet der Befragte. Zudem äußert er auf Nachfrage, dass er den Gewahrsamstrakt durch Besichtigung kennen würde.

Verteidiger Tamoschus hat heute keine Fragen.

 

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