27. Prozesstag

Oktober 9, 2007

27.Prozesstag 09. Oktober 2007 // 09.00 – 10.30 Uhr

„Ich müsste um das in Brand zu bekommen, einen Brandbeschleuniger nutzen oder das Gewebe von Innen anzünden.“

 

Brandgutachter des Landeskriminalamtes gehört // Unklarheiten zum Auffinden von Feuerzeugteilen

 

Am 27. Verhandlungstag steht der 61jähriger Mitarbeiter des Landeskriminalamtes Sachsen-Anhalts (LKA) Peter K. im Zeugenstand. Der Angestellte gibt an, in der Abteilung 2 „Technik und Wissenschaft“ zu arbeiten und dort als Sachverständiger für Brand- und Raumexplosion eingesetzt zu sein. Seit 27 Jahren sei er in diesem Fachbereich tätig.

“Nein“, antwortet der LKA-Mitarbeiter auf die Frage des Vorsitzenden Richters Manfred Steinhoff, ob er am 07. Januar 2005 mit der Untersuchung des Brandortes im Dessauer Polizeirevier persönlich betraut gewesen sei. Seine LKA-Kollegin Gisela P. wäre mit einer „Brandtüte“ zu ihm ins Labor gekommen. Gisela P. habe zu diesem Zeitpunkt den Inhalt dieser Tüte, der „aus 2 Kubikdezimeter Brandschutt bestand“, bereits gaschromatografisch auf mögliche Überreste von Brandbeschleunigern untersucht. In diesem Verfahren werde der Brandschutt in der Asservatentüte, die aus Aluminium bestehe und Innen mit einer Folie beschichtet sei, erhitzt.

“Sie kam zu mir mit dem Beutel“, sagt der Zeuge aus. In der Tüte habe sich „zusammengeschmolzener und verschrumpelter Kunststoff, viel kleines Material und Staub“ befunden. Er habe dann, nachdem die Kollegin den Inhalt der Tüte auf einen Untersuchungstisch geschüttet habe, „mittendrin den oberen Teil eines Feuerzeuges“ gesehen. „Ich sollte nur einmal mit gucken, ob ich etwas mit sehe, mehr nicht“, so der Gutachter zu seiner damaligen Rolle bei dieser Analyse. Er habe von dem Feuerzeugteil kein Foto gemacht. Womöglich habe die zuständige Tatortgruppe aus dem Dezernat 33-1 gefertigt. Er wisse heute nicht mehr genau, wann seine Kollegin Gisela P. mit der Brandschutztüte zu ihm gekommen sei. „Höchstens eine Woche später [nach dem Tod Oury Jallohs; Anm. d. Red.]“, so der Zeuge auf Nachfrage Steinhoffs. Er vermutet zudem, dass ein Mitarbeiter der Tatortgruppe den Brandschutt in die entsprechende Tüte getan haben könnte.

Der Vorsitzende bittet nun alle Prozessbeteiligten zu einer Inaugenscheinnahme der Fotos aus der Akte, die die Überreste des Feuerzeugs zeigen, an den Richtertisch. „Ich habe nichts weiter untersucht“, sagt der LKA-Mann auf die Frage Oberstaatsanwalt Preissners, ob er an weiteren Untersuchungsverfahren im Fall Oury Jalloh beteiligt gewesen sei. „Wir wussten nicht was in dem Beutel war und haben dann gemeinsam nachgeschaut“, sagt Peter K. und meint damit den Moment, als seine Kollegin den Schutt auf den Tisch kippte und er wenig später die Feuerzeugteile erblickt haben will. Zur Dauer und Intensität der gaschromatografischen Analyse sagt der Gutachter zudem: „80 Grad Celsius, ca. eine Stunde lang“. Damit meint der Experte die notwendige Behandlung des Brandschuttes.

Der Zeuge sagt auf Nachfrage aus, dass zur Verformung von Kunststoff, so wie er zur Produktion von Feuerzeugen zur Anwendung komme, eine Umgebungstemperatur von 180 Grad notwendig sei. Um eine Verformung zu erreichen, sei eine unmittelbare Flammeneinwirkung dazu nicht zwingend erforderlich. Oberstaatsanwalt Preissner möchte noch am Richtertisch stehend wissen, was üblicherweise passiere, wenn ein Feuerzeug einer unmittelbaren Flammeneinwirkung ausgesetzt sei. „Das Feuerzeug wird weich, das Gas tritt aus und das Feuerzeug explodiert“, so der 61jährige Sachverständige. Bei einem solchen Szenario würden sich die Kunststoffteile im Raum weit verbreiten. „Nein“, so der Zeuge zur Frage Preissners, ab seiner Ansicht nach das im Fall Jalloh gefundene Feuerzeug explodiert sei. Peter K. sagt weiterhin aus: “Nein. Ich habe nie wieder etwas davon gehört oder gesehen“. Damit beteuert der Zeuge vor Gericht heute, mit dem Feuerzeug zu einem späteren Zeitpunkt nicht wieder befasst gewesen zu sein. „Wir können das bei uns nicht sammeln, wir haben keinen Platz“, so der LKA-Angestellte auf die Frage, ob die sichergestellten Brandschuttrest noch heute in seiner Abteilung lagern würden. In der Regel würden diese an den Auftraggeber, in diesem Fall an die zuständige Tatortgruppe, übergeben.

Er wisse im Detail nicht, auf welche möglichen Brandbeschleuniger seine Kollegin Gisela P. den Schutt aus der Zelle 5 untersucht habe. Auf Nachfrage der Nebenklagevertreterin Regina Götz sagt er: „Ich habe auf dem Protokoll der Gisela P. den Zusatz `Feuerzeugteile gefunden` vermerkt, mehr nicht“. Er ist sich heute sicher, dass Gisela P. das Protokoll gefertigt habe. Regina Götz möchte nun etwas genauer den Ablauf der gaschromatografischen Untersuchung beschrieben haben. Erst komme der Schutt im verschlossenen Beutel in den Ofen und dann würde die Gasanalyse durchgeführt. Dazu entnehme man die entstandenen Dämpfe mittels einer Spritze. „Wenn man erst reinguckt, sind die Dämpfe eventuell schon weg“, so der Zeuge weiter. Es sei also durchaus üblich, den Schutt erst zu erhitzen und ihn dann makroskopisch zu untersuchen. Auf Nachfrage führt er außerdem aus, dass bei diesem Verfahren einige Spuren vernichtet werden könnten. So zum Beispiel Fingerabdrücke, da diese aus „organischem Material“ bestehen würden. Stoffreste und Textilfasern wären ihm in dem Schutt nicht aufgefallen. Die einzelnen Bestandteile wären „alle recht kleinteilig und bröselig gewesen und ein paar größere Stücke, 3-5 Zentimeter lang“, gibt der LKA-Mitarbeiter an. Sonst wäre ihm darüber hinaus nichts ungewöhnliches aufgefallen. „Die Frau Gisela P. hat die Tatortgruppe sofort angerufen: Wir haben da was“, erinnert sich der Zeuge und spielt damit auf den Fund der Feuerzeugteile an.

Nach dem Feuerzeugfund wären die entsprechenden Teile in eine „Extratüte“ verpackt wurden und später habe die Tatortgruppe die Asservaten mit dem dazugehörigen Untersuchungsprotokoll abgeholt. Er wisse heute jedoch nicht mehr, wer der konkrete Ansprechpartner der Tatortgruppe gewesen sei.

Der 61jährige Gutachter sagt zudem, dass in seiner Abteilung zwei Brandgutachter tätig seien. Sein Kollege Herr Fie. habe die Untersuchungen im Fall Oury Jalloh vor Ort durchgeführt. „Wir hatten Probleme, die Auflage [die Matratze in Zelle 5; Anm. d. Red.] anzuzünden“, sagt der Zeuge und meint damit die Nachbrandversuche, mit denen ebenfalls sei Kollege betraut gewesen sei. „Ich müsste um das in Brand zu bekommen, einen Brandbeschleuniger nutzen oder das Gewebe von Innen anzünden.“, so der Gutachter weiter. Aus der Akte, die auch die Spuren- und Asservatenliste enthalte, ginge hervor, so Regina Götz, dass diese Untersuchung am 10. Januar 2005 stattgefunden haben soll.

“Wenn wir einen großen Brandort haben, nehmen wir einen Fotoionendetektor“, erläutert der Gutachter eine weitere Untersuchungsmethode, um die mögliche Verwendung eines Brandbeschleunigers am Brandort nachweisen zu können. „Wir wissen dann wo wir suchen müssen, sonst müssen wir ja das ganze Haus mitnehmen“, so der Zeuge außerdem dazu. Regina Götz möchte nun wissen, ob dieses Gerät alle Brandbeschleuniger, auch Spiritus, anzeige. „Alles“, so der Befragte dazu. Da wäre er sich sicher.

“Ob es der Tag war, weiß ich nicht“, antwortet der Gutachter Rechtsanwalt Isensee auf die Frage, ob sein Kollege Herr Fie. am 07. Januar 2005 die Zelle 5 untersucht habe. „Mitten dazwischen, so wie es auf dem Foto zusehen ist. Nicht noch irgendwo angebacken“, sagt der Zeuge auf die Frage, wo genau er das Feuerzeugteil im Schutt entdeckt habe. „

„Man kann den Brandbeschleuniger nicht in jedem Fall nachweisen.“, so Peter K.. Dies wäre zum Beispiel bei glatten Oberflächen der Fall oder wenn man den Brandort erst Tage später untersuchen würde. Bei einer Untersuchung „in zeitlicher Nähe“, müsste allerdings noch etwas zu finden sein, gibt der Experte zu Protokoll. Hierbei müsse man aber auch berücksichtigen, wieviel Brandbeschleuniger zum Einsatz gekommen sei. „Die Frau Gisela P. sagte mir, dass der Herr Fie. vor Ort keine Brandursache feststellen konnte.“, so der LKA-Mitarbeiter. Deshalb empfand sie es als notwendig, den Fund des Feuerzeugteils gleich der Tatortgruppe telefonisch zu melden.

 

„Die waren beschriftet, aber fragen sie mich nicht mit was.“, so der Zeuge auf die Frage des Nebenklagevertreters Ulrich von Klinggräff, ob er sich erinnere, wie die Asservatenbeutel beschriftet gewesen seien. Inwiefern anhand der Verformung des Feuerzeugteiles noch die Temperatur feststellbar wäre, beantwortet der Zeuge mit: „Es kommt nicht auf die Temperatur an, sondern auch auf die Einwirkdauer, mindestens aber 180 Grad.“, so der Gutachter dazu. „Dann hätte er auswählen müssen und da wäre eventuell die brandfördernde Substanz verloren gegangen“, so der 61-jährige auf die Frage Klinggräffs, ob sein Kollege Herr Fie. nicht schon am Brandort den Schutt hätte untersuchen müssen. Der Zeuge hält es indes für unwahrscheinlich, dass der Fotoionendetektor im Dessauer Polizeirevier am 07. Januar 2005 zum Einsatz gekommen sei. Dies würde üblicherweise im Protokoll vermerkt. Der Befragte gibt auch an, dass die Tatortgruppe nur bei „größeren Bränden“ zum Einsatz komme. Ausserdem gäbe es mit der Tatortgruppe ein „stilles Abkommen“: „die Tatortgruppe macht nichts, bevor wir nicht da sind.“, so Peter K.. Üblicherweise würde die Spurensicherung so laufen, dass der Gutachter die Mitglieder der Tatortgruppe anweist, welche Brandschuttreste zur weiteren Untersuchung vom Brandort entnommen werden sollen. Er wisse zudem nicht, ob sein Kollege Herr Fie. tatsächlich der erste gewesen wäre, der den Brandschutt in Zelle 5 in Augenschein genommen habe. Rechtsanwalt Ulrich von Klinggräff hält dem Zeugen aus der Akte vor, dass der Beamte KOK Hei. Für die Abzeichnung der Spurensicherungs- und Asservatenliste zuständig gewesen sei. „Der ist von der Tatortgruppe“, entgegnet der Peter K. daraufhin.

 

Laut dem Gutachter mache sein Kollege vor Ort nur eine „übersichtsmäßige, kurze Sichtung“, ansonsten würde alles zusammen gepackt werden, um keine Spuren zu verwischen. Da hakt Nebenkläger Isensee ein und fragt: „Wenn vor Ort schon Teile protokolliert wurden, wie lässt sich dass erklären?“ Ob das ein „Kunstfehler“ gewesen wäre fragt er nach, dem stimmt der Gutachter zu. Auf Nachhaken Isensees bestätigt der Befragte auch, dass es schon einmal zu Unstimmigkeiten mit der Tatortgruppe käme, wenn diese bereits mit der Spurensicherung beginnen würden, bevor die Sachverständiger vor Ort seien.

 

„Ich finde später (in den Akten, Anm. d. Red.) nicht den Namen des Herrn Fie.“, so Oberstaatsanwalt Preissner und will vom Zeugen genau wissen, ob er mit Sicherheit sagen könne, dass sein Kollege zusammen mit der Tatortgruppe ausgerückt sei. „Das ist zu lange her, genau weiß ich es nicht.“, so der Gutachter. Laut Aktenvorhalt Preissners sei erst die die Tatortgruppe vor Ort befasst gewesen und dann später erst die Sachverständigen hinzu gerufen wurden. Woraufhin Peter K. antwortete: „Da muss ich passen.“

 

Danach beginnt Rechtsanwalt Atilla Teuchtler, der Verteidiger des Hauptangeklagten Andreas S., seine Befragung. Er will von dem Gutachter wissen, womit ein handelsübliches Feuerzeug befüllt sei. „Mit Butan“, antwortet der Sachverständige. Ferner gibt der Zeuge an, dass Butan nicht zu den Brandbeschleunigern gerechnet werden könne. In der Menge in der es aus dem Feuerzeug ausgetreten sein muss, hätte es keinen Einfluss mehr auf das Brandgeschehen haben können.

 

Laut Peter K. sei das asservierte Material nur makroskopisch nicht aber mikroskopisch untersucht worden. „Wir hatten ja keine Auftrag dazu.“, so der LKA-Mitarbeiter zur Begründung. Textilfaserreste habe er bei seiner Inaugenscheinnahme des Brandschuttes nicht wahrgenommen.

 

Rechtsanwalt Sven Tamoschus, Verteidiger des Angeklagte Hans-Ulrich M., möchte vom 61-jährigen zunächst erfahren, wie groß die Asservatentüte seien, dessen Inhalt Peter K. mit seiner Kollegin untersucht habe. „40 mal 60 Zentimeter“, so der Gutachter. „Ich hätte alles von der Liege, von der Pritsche mitgenommen und alles was auf dem Boden liegt in eine Extratüte.“, so der Experte zur Frage, was er bei der Brandortsicherung in der Zelle alles mitgenommen hätte.

 

Zu dem gefundenen Feuerzeug eröffnet der heutige Verhandlungstag einen Widerspruch. Der Brandgutachter Peter K. sagt aus: „Das Feuerzeug hat während es geschmolzen ist auf textilem Material gelegen, dass sieht man an der einen Stelle.“ Ulrich von Klinggräff zitiert aus der Akte, dass der Beamte KOK Hei. als Mitglied der Tatortgruppe angegeben habe, dass sich im Rückenbereich des Oury Jalloh nicht vollständig verbrannte Schaumstoffanhaftungen, Reste des Matratzenüberzuges sowie Teile einer Cordhose und eines T-Shirts festgestellt worden seien. Laut Aktenlage haben man dort die verschmolzenen Überreste des Feuerzeuges gefunden. „Welcher Beutel aus welchem Bereich, ist ihm (dem heutigen Zeugen, Anm. d. Red.) nun vorgelegt worden“ fragt Oberstaatsanwalt Preissner in die Runde der Prozessbeteiligten und meint damit die Schuttsicherung am Brandort durch KOK Hei.. Die heutige Verhandlung lies offen, ob es sich bei dem an der Leiche womöglich festgestellten Feuerzeugteile, die der Zeuge Peter K. bei der Untersuchung im Labor gefunden habe.

 

Rechtsanwalt Isensee will abschließend vom Gutachter noch wissen, ob ein mehrmaliges Öffnen der Asservatentüten möglich sei, dass bejaht der Befragte mit der Maßgabe von Verwendung neuen Klebebandes.

 

„Herr H. [Vernehmungsbeamter der PD Stendal; Anm. d. Red.] hat die ersten Protokolle geschickt.“, kündigte der vorsitzende Richter zum Abschluss der heutigen Verhandlungen an. Damit spricht Manfred Steinhoff auf die zum Zeitpunkt der Anklageerhebung noch nicht vernommenen Beamten und Angestellten im Fall Oury Jalloh an, die am 07. Januar 2005 Dienst hatten. Laut Vorsitzenden umfasse diese Liste mittlerweile bis zu 70 Personen. „Ich habe vorhin schon einmal rein geguckt, wir haben genug Stoff.“ Zu den zwei Zeugenvernehmungen die er sich bereits angeschaut habe, meint er: „Die zwei hören wir auf jeden Fall.“

 

Außerdem beauftragt der Richter den Oberstaatsanwalt Preissner, alle Asservate in das Landgericht Dessau verbringen zu lassen.

 

Prozessbeobachtergruppe: http://www.prozessouryjalloh.de